Ralf Wanger

 
   
  Stoibers Rechnung
   
  Daß Politiker ein sehr kurzes Gedächtnis haben, wenn es um die eigenen Versprechungen geht, ist scheinbar schon zu einer solchen Selbstverständlichkeit geworden, daß sich niemand mehr darüber aufregt. Ganz im Gegensatz dazu, wenn einmal einer nachdrücklich an solche Versprechen erinnert und er obendrein noch selber Politiker ist. Mehr oder weniger tiefschürfend wird da gerätselt, welche Motive den bayerischen Minitsterpräsidenten zu solcher Hartnäckigkeit geführt haben. Das ist sicher richtig, doch sollte man gleichzeitig aber auch fragen, warum die meisten Politiker - viele der jetzt auch so besorgten Kommentatoren eingeschlossen - die Maastricht-Kriterien jetzt lieber vergessen machen wollen.

Wenn nämlich die sogenannten Konvergenzkriterien wenig mit der Stabilität einer Währung zu tun haben wie man heute von Lafontaine bis Geißler hört, dann haben auch die, die diese Kriterien in Maastricht in den Vetrag geschrieben haben und die, welche ihm ihre Zustimmung haben, gelinde gesagt etwas wenig Ahnung von Goldpolitik gehabt. Und wenn der Weg zur Währungsunion schon fragwürdig ist, dann ist es letztlich der selbst auch. Das kann man kaum deutlicher machen als durch das Verleugnen genau der Kriterien, die man jahrelang selbst zum Überziel der Wirtschaftspolitik gemacht hat. Wie kann man denen, die Opfer einer undurchdachten Sparpolitik wurden - und das sind mittlerweile sehr viele in diesem Land - , wenn nachträglich die Ziele dieses Sparens selber als übertrieben darstellt.

Stoiber weiß das und er weiß auch, daß der Kanzler mit seinem Gefühl für die Stimmung im Volk das weiß. Helmut Kohl mußte sich so gefordert zu den 3,0 bekennen. Daß die von Deutschland zu schaffen sind - mit oder ohne Tricks - , daß kann auch der Kanzler kaum glauben. Auch von der Tendenz her nicht, denn die geht von 2,6% 1992 auf eben über drei Prozent in diesem Jahr. Vernünftig und auch ehrlicher wäre es daher, sich mit dem Blick auf die eignen wirtschaftlichen Daten vom Maastrichter Euro-Plan zu verabschieden, anstatt darauf zu warten, daß Frankreich den Offenbarungseid leistet. Von der unseriösen Panikmache all derer, die jetzt aus sichtbar eigennützigen Gründen und mit obstrusen Theorien vor einer Verschiebung warnen, mal abgesehen, erlaubt es Stoibers Hartnäckigkeit sogar dem Kanzler ohne noch größeren Gesichtsverlust aus der Eurofalle herauszukommen. Er sollte diese Chance j e t z t nutzen.

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