Ralf Wagner
[26.7. 2004]
Ein Europa, was Bestand
haben will, muss zunächst bei seinen Bürgern bestehen
dazu auch: Konvent für Deutschland: Volksentscheide
statt Parteienmonopol - Herzog: Auch für die EU-Verfassung
als Leserbrief im Tagesspiegel und die
Erwiderung darauf von Peter Hinze, MdB
In keinem
anderen Land der EU redet die politische Klasse so gern und so
vollmundig über Europa wie bei uns. In dieser Begeisterung sind
sie sich allerdings ebenso einig wie in der Ablehnung einer
Volksabstimmung über die EU-Verfassung und gefährden
damit vielleicht ihr Lieblingsprojekt mehr als sie glauben mögen.
Und ausgerechnet der informelle Vorsitzende der Grünen, welche
sich selbst die Erfindung von Basisdemokratie zuschreiben, setzt
sich an die Spitze der Bewegung: Verfassungsänderung und
Volksabstimmungen ja, aber nicht über die EU-Verfassung.
Die Argumente gegen einen solchen Plebiszit sind jedenfalls so lächerlich,
dass man über Gründe der Verweigerungshaltung kaum noch
spekulieren muss.
Die Verfassung sein zu umfangreich, zu kompliziert; ja es gäbe
nicht einmal genügend Papier, um sie allen Haushalten zur Verfügung
stellen zu können. Mal abgesehen davon, dass man sie hätte ja
auch einfacher und verständlich gestalten können - schließlich
bedarf es für eine gute Sache nur weniger Worte -, werden unsere
Politiker bei anderen voluminösen Ergebnissen ihrer Arbeit nicht
von solcherlei Zweifel befallen - wie z.B. beim Steuerrecht. Hier
erwarten die gleichen Politiker sogar, dass wir jedes Jahr mit
unserer Unterschrift bestätigen, dass wir alle Regelungen eines
gigantischen Werkes beachten, ohne dass je jemals jemand auf die
Idee gekommen wäre, den Steuerbürgern alle Gesetze und Updates
zukommen zu lassen.
Oder: die Abstimmung könne ja auch scheitern. Aber das ist ja
wohl auch der Sinn von Abstimmungen, oder? Und wer sie gewinnen
will, muss eben für seine Sache ordentlich werben. Wenn die
Europäische Zukunft gut sein soll, hat sie keine schlechte
Verfassung verdient. Und wenn die Herren Schäuble und Hintze gar
befürchten, dass ein Referendum zu einer Abstimmung über die EU
an sich missbraucht werden könne, so liegen sie völlig
richtig. Es ist höchste Zeit, sich die Legitimation für diesen
Weg der Europäischen Einigung zu holen - zumal es ja auch andere
gibt. Das unterstreicht nicht zuletzt das Desaster der
Wahlbeteiligung an den letzten beiden Wahlen für das Europäische
Parlament. Auch das kann die Mitwirkung der Bürgerinnen und Bürger
eben nicht ersetzen zumal sich die sich die
europapolitischen Positionen der meisten Parteien gleichen wie
ein Ei dem anderen und dem Wahlbürger gar keine Auswahl bieten.
Und schon gar nicht sticht der Verweis auf das Grundgesetz. Der
Artikel 146 ist die permanente Aufforderung an den Gesetzgeber spätestens
der nach Wiedervereinigung dem eigentlichen Souverän seine
Verfassungskompetenz zurückzugeben. Wenn jede Neugliederung von
Ländern der Zustimmung durch den Wähler bedarf, dann wird das
ja wohl auch auf die weitgehende Übertragung von Kompetenzen auf
die EU zutreffen. Auch eine Anpassung des Grundgesetzes ist, wie
jüngst Altbundespräsident Herzog feststellte, in kurzer Zeit zu
bewerkstelligen.
Ein Europa, das Bestand haben will, muss zunächst bei seinen Bürgern
bestehen...
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