Ralf Wagner
Wirtschaftspolitik
4/97


Die Rache der Arbeitslosen

Jahrelang ignoriert, verschafft sich die Arbeitslosigkeit nun mit ihren Auswirkungen auf die Maatsricht-Kriterien Gehör


Fast fünf Millionen Arbeitslose - Jetzt ist der Kanzler sauer. Wahrscheinlich weniger, weil das für viele davon nun schon längere Zeit Betroffene bedeutet, nie wieder in ihrem Leben einer Erwerbstätigkeit nachgehen zu können, wahrscheinlich auch nicht, weil für zunehmend viele Jugendliche der Start in den Beruf mit der Erfahrung Arbeitslosigkeit beginnt - nein, vor allem die Folgen für die öffentlichen Haushalte sind es wohl, die Helmut Kohl jetzt umtreiben. Arbeitslose zahlen keine direkten Steuern mehr, sie kosten gleichzeitig Geld und vermindern damit mit doppelter Geschwindigkeit die Chancen, daß Deutschland die Euro-Kriterien erfüllen wird. Und genau das scheint den Kanzler uns seine Umgebung jetzt aus ihrer Lethargie zu reißen.

Hatte man in den vergangenen Jahren fast alle Probleme für wichtiger gehalten, als die (sicher auch gut finanzierte) Arbeitslosigkeit zu beseitigen, und gar in der Europäischen Union das eine um das andere Mal mit dem deutschem Veto gemeinsame Beschäftigungsinitiativen in die Verantwortung der Mitgliedsländer zurück geschmettert, so ist es gerade dieses lange vernachlässigte und auch verharmloste Dilemma, das heute alle anderen Felder der Staatstätigkeit in Mitleidenschaft zieht.

Ein Land, das so sehr in Unordnung ist wie das unsere, kann eben keine gesicherten Haushalte haben und auch keine funktionierenden Sozialsysteme. Denn "Rentnerschwemme" hin, Geburtenrückgang her, es sind doch vor allem die Beitragsausfälle der Arbeitslosen, in die Scheinselbständigkeit Getriebenen und Nichtversicherungspflichtigen, welche die Sicherungssysteme ständig an den Rand der Katastrophe bringen. Daß die dann nur durch noch höhere Beiträge geflickschustert werden können, welche die Arbeit weiter verteuern und somit neue Arbeitslose produzieren, gehört zu den Binsenweisheiten, die jedem Wirtschaftsstudent spätestens im zweiten Semester bekannt sein sollten.

Und es war diese Bundesregierung, welche die Rahmenbedingungen für diese Entwicklung gesetzt hat. Unternehmer, die nicht über zu hohe Kosten klagen, sind keine Unternehmer. Aber eine Regierung, die, um einen Standort zu sichern, der sich, wie die Wirtschaftsdaten des Februar 97 belegen, durch Rekordgewinne, Rekordwerte des Aktienindex, Rekordwerte des Exportüberschusses, Rekordwerte der Vermögensbestände und Vermögenszuwächse auszeichnet, beständig nur den Argumenten der Kostensenker hinterherläuft, hat offensichtlich den Anspruch auf eine aktive und vorausschauende e i g e n e Politik aufgegeben. Und, wenn man, wie die Woche Lothar Späth, mal eben feststellt, "Deutschland müsse noch rund 20 Jahre mit der hohen Arbeitslosigkeit leben", dann ist das nichts anderes als die vollständige Bankrotterklärung der deutschen Wirtschaftspolitik. Denn diesen Rückgang der Arbeitslosigkeit schafft der Rückgang der Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter allein. Ist dann aber nicht gerade Aufgabe des Staates, des Gemeinwesens, in genau diesen 20 Jahren Millionen seiner Bürger das Schicksal lebenslanger Beschäftigungslosigkeit zu ersparen?

Die Hilf- und Ideenlosigkeit der politischen Klasse, die, selbst wohlversorgt, Ausmaß und Dringlichkeit der Probleme ignoriert oder sich wie Späth aus der Verantwortung zu stehlen versucht, wird zunehmend zum sichtbarsten Problem des Standortes Deutschland. Da mag sich der Kanzler dann gelegentlich wieder damit trösten, daß die Probleme in Malawi oder in Bulgarien größer sind. Unter den Industrieländern, denen es - wie den berühmten Dominosteinen gleich - einem nach dem anderen gelingt, Beschäftigung zu schaffen, wird Deutschland zunehmend auffällig als Land der vertanen Chancen. Und den Euro gibt's dann natürlich auch nicht für den Kanzler. Rache ist süß.

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