Ralf Wagner
[24.7.2005]

Die neue Linkspartei - ein Spiegel für das Land (I)

zu Martin Klingst: Nein und immer wieder nein in DIE ZEIT vom 17.7. 05


Es stimmt jedes Wort, was Martin Klingst über die neue Linke schreibt und dennoch ist es nur die halbe Wahrheit. Einst war die SPD angetreten, das Los und die Teilhabe der arbeitenden Menschen zu verbessern. Zielgruppe von Lafontaine und Co. jedoch ist das schnell wachsenden Heer von Nichtarbeitern - vom  Arbeitslosen bis zum  Rentner oder Vorruhständler. Gemeinsam ist ihnen, daß sie auf die Transferleistungen angewiesen sind und zurecht den willkürlichen Umgang des Gesetzgebers bei deren Gestaltung fürchten. Sozial schwach hingegen sind keineswegs alle, wie die beiden Luxusausgaben von Staatsrentnern an der Spitze der Partei belegen.
Eigentlich müßte es ja jedem, der von staatlicher Umverteilung lebt, nach kurzem Nachdenken einleuchten, daß es ihm nur dann gut gehen kann, wenn es denen, die es finanzieren, ebenfalls gut geht. Ebenso ist es eigentlich unmittelbar einleuchtend, daß die wachsende Anzahl der Transferbezieher und deren Finanzierung über die Lohnkosten von immer weniger Arbeitenden die Hauptursache für die Unfinanzierbarkeit von Arbeit und damit für Arbeitslosigkeit sind.
Doch WSAG und PDS können fest auf die Wirkung ihrer Parolen vertrauen, ist doch ganze Land vereint in der Sorge um vermeintliche soziale Gerechtigkeit, der Ignoranz ökonomischer Wahrheiten und dem festen Glaube daran, immer alles richtig und besser als die anderen gemacht zu haben. Jede noch so kleine Reform wird daher mit Faktoren von außen wie den Kosten der Einheit, der Globalisierung oder dem demographischen Wandel begründet. Das suggeriert natürlich auch, gäbe es diese Faktoren nicht, ginge es uns nach wie vor blendend.
Dabei war die deutsche Einheit auch ein gewaltiger, wenn auch schuldenfinanzierter und langfristig wirkungsloser Nachfrageimpuls (den die neue Linke ja ansonsten als Problemlösung empfiehlt) für die (west-) deutsch Wirtschaft. Dabei kann die Globalisierung für eine Wirtschaft mit immer größer werdenden Exportüberschüssen keine Überraschung und auch kein Nachteil sein und der demographische Wandel hat ja gerade erst begonnen. Heilung beginnt mit Wahrheit. Und die Wahrheit ist, daß dieses Land spätestens seit den siebziger Jahren durch die massive Staatsverschuldung auf Kosten künftiger Generationen lebt.  Wahrheit ist, daß der soziale Gestaltungseifer aller Parteien, meist vor Wahlen, den Sozialstaat massiv überdehnt und seine Bürger dadurch ein gutes Stück entmündigt hat. Schlimmer noch, dieses Land hat im kollektiven Bewußtsein vergessen, daß es einzig Arbeit ist, welche die Grundlage für Wohlstand bietet. Fast nirgendwo auf der Welt ist die Geringschätzung von Arbeit ("Welche Arbeit ist zumutbar?") und die Verachtung von Leistung so ausgeprägt wie hierzulande. Nirgendwo sonst auf der Welt käme man auf die Idee, wenn es einem schlechter geht, daß Problem mit weniger Arbeit anstatt mit mehr lösen zu wollen. Vor allem hierzulande versucht man sich mit Thesen wie vom "Ende der Erwerbsarbeit" mit dem Zustand, welcher sich durch sich selbst immer weiter verschlechtert, abzufinden und die eigene Untätigkeit  zu rechtfertigen sowie den Blick auf andere Länder, in denen die Arbeitslosigkeit keineswegs unaufhörlich wächst, zu verstellen.
Wer auch immer unter den Parteien sich erfolgreich mit dem Linkspopulismus auseinandersetzen will, muß sich auch mit dem auseinandersetzen, was er
selber mitgeschaffen hat. Ansonsten landet er dort, wo
Matthias Greffrat in der gleichen Ausgabe der ZEIT schon angelangt ist: Im Zweifel für die Ideologie und gegen die Realität.
Wenn beispielweise der deutsche Regulierungs- und Umverteilungsstaat schon an seine Grenzen gekommen sei, dann läge das nicht etwa an den Regeln sondern an den Grenzen und die Lösung in seiner Ausweitung auf Europa und die Welt. Erfreulicherweise werten andere Länder dieses Ansinnen als das, was es ist: linker Imperialismus. Und alle Welt schaut derzeit belustigt zu, wie die deutschen Protagonisten der Weltregeln im stolz errichteten eigenen Schilderwald mit vermeintlichen Lenkungswirkungen hoffnungslos herumirrlichtern.
Noch deutlicher zeigt sich der gemeinsam aufgebaute Selbstbetrug beim Thema Krankenversicherung. Innig vereint wäre dieses Land von Seehofer und Blüm bis Gysi und Nahles und mit ihnen sicher die übergroße Mehrheit der Bevölkerung bei der ach so solidarischen Bürgerversicherung. Das bewahrt vor allem davor, nach Fehlern im bestehenden System, welches weder Transparenz noch Wettbewerb kennt, zu suchen und das Heil darin zu sehen, vermeintliche Besserverdiener zur Kasse zu bitten. Es ist auch hier der Wahn, daß ein schlechtes System dadurch besser machen zu können, wenn man es auf alle ausdehnt. Erst wenn die Bürgerversicherung die Existenz von  vielen Selbständigen vernichtet und die Arbeitgeberbeiträge für die Beamten ("Endlich müssen die auch in unser System!") die öffentlichen Haushalte weiter ruiniert haben wird, kommt der Katzenjammer: "Es war zwar schlecht, aber wenigstens gerecht..."
So gesehen ist die Entstehung der neuen Linkspartei auch eine riesige Chance für dieses Land. Sie hält ihm den Spiegel seiner eigenen Lebenslügen vor - jeder Partei und jedem.

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